Um 21.13 Uhr gab es am Samstag kein Halten mehr im TSG-Sportzentrum in Haßloch. Mit dem Abpfiff rannten alle Akteure auf das Spielfeld, lagen sich in den Armen, hüpften im Kreis. Kevin Seelos, der Sportliche Leiter der TSG, schüttelte den Kopf: Ihm fehlten zunächst die Worte. Der körperlich mit 1,69 Meter Kleinste in der Runde, Cheftrainer Michael Übel, war schweißgebadet. Mit einem 30:27 (18:14)-Erfolg über den Nachwuchs des Handball-Bundesligisten HSG Wetzlar, die HSG Dutenhofen-Münchholzhausen II, haben die Bären in einer schwierigen Saison das schier Unmögliche noch möglich gemacht. Am Ende einer aufregenden Runde geht die Reise der TSG Haßloch in der Dritten Liga weiter.
16 Paraden von Bitz
Die Zukunft wird nicht leichter werden, aber das Selbstvertrauen ist jetzt da, den nächsten Schritt in Angriff zu nehmen. „Es ist unfassbar, was wir als Mannschaft heute und nach dem verlorenen Spiel gegen Aldekerk abgeliefert haben“, bemühte sich Kapitän Marco Bitz um Worte. Der Routinier hielt in der Schlussminute einen Siebenmeter. „Dieses Spiel ist noch höher einzustufen als das damalige Entscheidungsspiel gegen Tusem Essen II“, so Bitz. Daran hatte er mit 16 Paraden entscheidenden Anteil. „Bei uns hat sich mit Michael Übel viel im Kopf abgespielt, da war viel Psychologie dabei. Alle Jungs waren nochmals bereit, alles aus sich herauszuholen.“ Es war dritte Sieg in Folge, seit Übel TSG-Trainer ist. Er gab ein Riesenkompliment an die Spieler weiter: „Die Jungs haben den Kampf angenommen, das Beste aus der Situation gemacht und an sich geglaubt. Totgesagte leben länger“, so Übel.
Zwei Rote Karten
Sichtlich erleichtert waren auch Toptorjäger Florian Kern (29), der nach dem Weggang von Trainer Muth „aufblühte“, und Yannik Polifka (21). „Nach dem Spiel gegen Aldekerk dachte ich schon, das war es. Aber Michael hat uns nochmals Leben eingehaucht“, so „Polle“, der in der 48. Minute mit seinem Foul zu hart mit der Roten Karte bestraft wurde. Zuvor hatte schon früh (13.) Philipp Alt die gleiche Farbe gesehen und war zum Zuschauen verdammt. „Es ist schade, ich hätte mich gerne anders verabschiedet“, meinte Alt. Aber die TSG ließ sich von diesen Nackenschlägen nicht aus dem Rhythmus bringen. „Klar wurde es nach diesen Ausfällen schwieriger. Aber umso wichtiger war es, dass die übrigen Spieler weiter fokussiert blieben“, so Übel. Die Lahnstädter, die nur in der dritten Minute 2:1 in Front lagen, gerieten spätestens mit dem 7:10 (19.) nach dem Doppelschlag von Yannick Muth und Florian Kern immer mehr ins Hintertreffen. Doch sie zogen alle Register. Dazu zählte auch die offensive Deckung ab der 40. Minute, als Yannik Polifka zuvor zum 24:17 erstmals einen Sieben-Tore-Vorsprung sicherte.
Röder verletzt vom Feld
Wenn die Gäste mit ihrem überragenden Spielmacher Lukas Gümbel mal etwas herankamen, dann war stets Marco Bitz zwischen dem Pfosten zur Stelle. Daran hatten auch die Abwehr mit dem äußerst engagierten Julius Herbert, der auch am Kreis seinen deutlichen Aufwärtstrend zeigte, wie auch Jonas Kupijai, der 35 Jahre alte „Nothelfer“ der ebenso wie Mathias „Matze“ Röder wegen seiner Freundschaft zu Kevin Seelos und den guten Erinnerungen an die TSG Haßloch einsprang, großen Anteil. Röder erlebte den nächsten Schrecken in 48. Minute, als er mit heftigen Schmerzen an der Leiste vom Spielfeld musste. Ein Schock. Aber auch der Moment, als Yannick Muth in der Auszeit erfuhr, dass Homburg in Longerich verloren hatte, was nochmals Kräfte freisetzte, um den Vorsprung über die Zeit zu retten. „In der Mannschaft war die Energie da. Es lohnt sich, im Sport zu kämpfen. Es hat hier in Haßloch wieder total viel Spaß gemacht“, sagte Kupijai. Aber der Glaube an die Mission Klassenverbleib war vor vier Wochen nicht bei jedem so vorhanden, wie gewünscht. Daraus machten sowohl Lars Hannes als auch Yannik Polifka keinen Hehl. Kevin Seelos hatte dies offensichtlich ebenfalls erkannt, weshalb er „seine letzte Patrone nutzte“, um mit einem Trainerwechsel von Marcus Muth auf Michael Übel nochmals einen Impuls zu setzen. „Es war alles aufregend mit vielen Höhen und Tiefen, jetzt bin ich erst mal erleichtert, aber auch froh, dass der Impuls, den wir mit Michael Übel gesetzt haben, gefruchtet hat“, so Seelos. „Trotzdem ein großes Dankeschön an Marcus Muth für sein Engagement. Er war zu dem Zeitpunkt, als wir ihn geholt haben, der richtige Mann für die Mannschaft.“ Für seinen Mut lobte der ehemalige TSG-Spieler Christian Deyerling Urgestein Seelos: „Es war eine sehr mutige Entscheidung. Man hat nur einmal die Möglichkeit, solch einen Joker zu ziehen.“ Auch Klaus Schneider, Sportwissenschaftler am Lise-Meitner-Gymnasium in Maxdorf und treuer TSG-Fan, war erleichtert: „Michael Übel hat wohl den Kern der Jungs getroffen und sie wachgerüttelt“.
Quelle: „Die Rheinpfalz“ – Mittelhaardter Rundschau vom 20.05.2023, Jochen Willner